Madame Canet - die Archäologin der Lust
Online Stuttgarter Nachrichten, 30.01.2010.
Pariser Galeristin erinnert an die Blütezeit der Edelprostitution
Madame Canet fällt nicht nur wegen ihrer fuchsroten Haare auf - sie hat
auch eine frivole Leidenschaft: Die Pariserin erforscht die Geschichte der Luxusbordelle.
Von unserem Korrespondenten
Gerd Niewerth, Paris
PARIS. Heerscharen von Dichtern besingen Paris in den allerhöchsten Hymnen: als Stadt des Lichts, der Literatur und vor allem als Stadt der Liebe. Zur Letzteren zählt natürlich auch die käufliche. Der Blütezeit des frivolen Gewerbes hat Nicole Canet eine feine Ausstellung gewidmet. Ihre auf Erotik spezialisierte Kunstgalerie bietet dafür den passenden Platz. "Au Bonheur du Jour" - "zum Glück des Tages" heißt sie und liegt direkt gegenüber vom ehemaligen Le Chabanais: einem Luxusfreudenhaus par excellence, das über Jahrzehnte als lustvollste Adresse der französischen Hauptstadt galt und um das sich unzählige Anekdoten und pikanteste Gerüchte ranken.
Für die eleganten Herren der feinen Pariser Gesellschaft, also die Stützen der Dritten Republik, gehörte der Besuch eines Luxusbordells geradezu zum guten Ton - so wie der Sonntag beim Pferderennen oder die Teilnahme an einem Galadinner. Das Etablissement verhieß eine lange Nacht mit prickelndem Champagner, heißen Liebesspielen und den besten Freudenmädchen der Republik.
Niemand hat das Chabanais so sehr geadelt wie der Prince of Wales, der spätere König von England, Edward VII. Während andere vornehme Kunden in den Salon Louis XV. oder wahlweise ins türkische, maurische, russische, chinesische oder französische Zimmer geführt wurden, nannte der flotte Edward ein ganzes Appartement in der fünften Etage sein Eigen. Mittelpunkt seines prunkvoll ausgestatteten Indischen Zimmers war der "chaise volupté", der Stuhl der Wollust. Dieses filigrane und doch stabile Möbelstück, ganz nach den extravaganten Wünschen des Windsor-Sprösslings konzipiert, gestattete Seiner Hoheit sich geradezu majestätisch zu amüsieren: nämlich - oh, là là - mit zwei Frauen gleichzeitig.
Geschichten wie diese hat Nicole Canet zusammengetragen. In der Pariser Szene genießt sie - ein zierlich resolutes Persönchen mit fuchsrotem Haar - einen klangvollen Ruf. Wegen ihrer Sammelleidenschaft für alles rund um das pralle Thema Erotik nennt man sie respektvoll "Archäologin der Lust". Für die Ausstellung und den gleichnamigen Katalog ("Maisons Closes, 1860-1946") hat sie 400 seltene Fotos, Bilder, Zeichnungen und einige Objekte zusammengetragen.
200 Etablissements, wahlweise "maisons closes" oder "maisons de tolérance" genannt, gab es um 1900 in der Hauptstadt der Prostitution. Tausende Frauen gingen damals anschaffen, angeblich hatten sie 40 000 Kunden am Tag. Ganz im Schatten der wenigen Edelpuffs standen die zahlreichen Billigkaschemmen. Der Volksmund nannte sie ungeschminkt "maison d"abattage" ("Schlachthäuser"), weil Zwölf-Stunden-Schichten mit 60 Freiern am Tag und einer lausigen Bezahlung von 2,50 Francs am Tag die Regel waren. Die andere Seite der Medaille: Bei einem üppigen Steuersatz von 65 Prozent verdiente der Staat prächtig mit.
Dass in den Pariser Freudenhäusern 1946 für immer die roten Lichter ausgingen, ist übrigens das Werk einer Ex-Prostituierten. Marthe Richard, die Anfang des 20. Jahrhunderts noch auf den Trottoirs vor den Pariser Kasernen den jungen Leutnants den Kopf verdrehte und später Pariser Stadtverordnete wurde, beendete nach dem Weltkrieg die Ära der "maisons closes". Eine Epoche, der Nicole Canet, die "Archäologin", nachtrauert. "Man sollte die Luxusbordelle in Paris wieder öffnen. Wirklich schade, dass es sie nicht mehr gibt."
auch eine frivole Leidenschaft: Die Pariserin erforscht die Geschichte der Luxusbordelle.
Von unserem Korrespondenten
Gerd Niewerth, Paris
PARIS. Heerscharen von Dichtern besingen Paris in den allerhöchsten Hymnen: als Stadt des Lichts, der Literatur und vor allem als Stadt der Liebe. Zur Letzteren zählt natürlich auch die käufliche. Der Blütezeit des frivolen Gewerbes hat Nicole Canet eine feine Ausstellung gewidmet. Ihre auf Erotik spezialisierte Kunstgalerie bietet dafür den passenden Platz. "Au Bonheur du Jour" - "zum Glück des Tages" heißt sie und liegt direkt gegenüber vom ehemaligen Le Chabanais: einem Luxusfreudenhaus par excellence, das über Jahrzehnte als lustvollste Adresse der französischen Hauptstadt galt und um das sich unzählige Anekdoten und pikanteste Gerüchte ranken.
Für die eleganten Herren der feinen Pariser Gesellschaft, also die Stützen der Dritten Republik, gehörte der Besuch eines Luxusbordells geradezu zum guten Ton - so wie der Sonntag beim Pferderennen oder die Teilnahme an einem Galadinner. Das Etablissement verhieß eine lange Nacht mit prickelndem Champagner, heißen Liebesspielen und den besten Freudenmädchen der Republik.
Niemand hat das Chabanais so sehr geadelt wie der Prince of Wales, der spätere König von England, Edward VII. Während andere vornehme Kunden in den Salon Louis XV. oder wahlweise ins türkische, maurische, russische, chinesische oder französische Zimmer geführt wurden, nannte der flotte Edward ein ganzes Appartement in der fünften Etage sein Eigen. Mittelpunkt seines prunkvoll ausgestatteten Indischen Zimmers war der "chaise volupté", der Stuhl der Wollust. Dieses filigrane und doch stabile Möbelstück, ganz nach den extravaganten Wünschen des Windsor-Sprösslings konzipiert, gestattete Seiner Hoheit sich geradezu majestätisch zu amüsieren: nämlich - oh, là là - mit zwei Frauen gleichzeitig.
Geschichten wie diese hat Nicole Canet zusammengetragen. In der Pariser Szene genießt sie - ein zierlich resolutes Persönchen mit fuchsrotem Haar - einen klangvollen Ruf. Wegen ihrer Sammelleidenschaft für alles rund um das pralle Thema Erotik nennt man sie respektvoll "Archäologin der Lust". Für die Ausstellung und den gleichnamigen Katalog ("Maisons Closes, 1860-1946") hat sie 400 seltene Fotos, Bilder, Zeichnungen und einige Objekte zusammengetragen.
200 Etablissements, wahlweise "maisons closes" oder "maisons de tolérance" genannt, gab es um 1900 in der Hauptstadt der Prostitution. Tausende Frauen gingen damals anschaffen, angeblich hatten sie 40 000 Kunden am Tag. Ganz im Schatten der wenigen Edelpuffs standen die zahlreichen Billigkaschemmen. Der Volksmund nannte sie ungeschminkt "maison d"abattage" ("Schlachthäuser"), weil Zwölf-Stunden-Schichten mit 60 Freiern am Tag und einer lausigen Bezahlung von 2,50 Francs am Tag die Regel waren. Die andere Seite der Medaille: Bei einem üppigen Steuersatz von 65 Prozent verdiente der Staat prächtig mit.
Dass in den Pariser Freudenhäusern 1946 für immer die roten Lichter ausgingen, ist übrigens das Werk einer Ex-Prostituierten. Marthe Richard, die Anfang des 20. Jahrhunderts noch auf den Trottoirs vor den Pariser Kasernen den jungen Leutnants den Kopf verdrehte und später Pariser Stadtverordnete wurde, beendete nach dem Weltkrieg die Ära der "maisons closes". Eine Epoche, der Nicole Canet, die "Archäologin", nachtrauert. "Man sollte die Luxusbordelle in Paris wieder öffnen. Wirklich schade, dass es sie nicht mehr gibt."
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